Marzahn, Mon Amour von Katja Oskamp
“Die mittleren Jahre, in denen du weder alt noch jung bist, sind verschwommene Jahre. Du kannst das Ufer nicht mehr sehen, von dem du einst gestartet bist, und jenes Ufer, auf das du zusteuerst, erkennst du noch nicht deutlich genug. In diesen Jahren strampelst du in der Mitte des großen Sees herum, gerätst außer Puste, erschlaffst ob des Einerleis der Schwimmbewegungen. Ratlos hältst du inne und drehst dich dann um dich selbst, eine Runde, noch eine und noch eine. Die Angst, auf halber Strecke unterzugehen ohne Ton und ohne Grund, meldet sich.“
Marzahn ist für viele der Inbegriff des deutschen Plattenbaus. Akkurat, auf den Millimeter geplant und gebaut. Lieblos aber zweckmäßig. 18 Stockwerke, 2-Zimmer-Wohnungen mit 55m2. Nach der Berliner Mauer, vielleicht eines der Vorzeigeprojekte in den Köpfen und Herzen der obersten DDR-Funktionäre. Was der Staatsführung und den Gebäuden an Wärme fehlt, machen die BewohnerInnen wieder wett.
Allen voran die Kundinnen und Kunden vom Fußpflegestudio, in dem die Hauptprotagonistin Katja arbeitet. Nach dem Scheitern als Schriftstellerin macht sie eine Umschulung zur Fußpflegerin und findet im Herzen von Marzahn einen Job. Und während ehemalige DDR-Staatsangestellte, Teenies, Rentnerinnen, Mutter-Tochter-Gespanne uvm. bei Katja Platz nehmen, im besten Berlinerisch vom Alltag erzählen (oder auch nichts sagen) bröckelt nach und nach das Klischee in unseren Köpfen. Marzahn ist mehr. Marzahn ist mehr als anonyme graue Platte mit hoher Kriminalität und Immigranten-Problem. Marzahn ist Leben pur. Es ist bunt, fröhlich, traurig, unterhaltsam, stimmt nachdenklich, verzeiht das Scheitern und reicht dir die Hände damit du wieder aufstehst. So wie bei Katja. Sie schließt ihre Kundschaft ins Herz und wir auch. Zum Schluss lassen wir ein Stück unseres Herzens dort in der Platte und sind uns einig: Marzahn mit all seinen Ecken, Kanten und seinen BewohnerInnen verdient es gesehen zu werden.